Kann man richtiges Zuhören lernen?
Richtiges Zuhören scheint immer mehr zu einer Kunst zu werden. Ein Relikt vergangener Tage. Eine Zier – viel weiter kommt man gar ohne ihr.
Ich stelle mir immer öfter die Frage, ob man richtiges Zuhören lernen kann. Ich meine RICHTIGES Zuhören. Mit (echtem) Interesse, Gegenfragen, Geduld, Ausreden lassen, Blickkontakt, gar Empathie und allem was sonst noch so dazu gehört.
Richtiges Zuhören zu lernen bedarf vor allem einer gewissen Aufrichtigkeit. Es wirklich zu wollen. Sich auf das Gegenüber einzulassen, sich in ihn hineinzuversetzen.
Zuhören kann man nicht wie Yoga oder Social-Media-Hacks lernen. So einfach ist das nicht!
Und ganz besonders wichtig: Einfach auch mal an den richtigen Stellen die Klappe zu halten!
Versteht mich bitte nicht falsch. Auch ich erzähle meinen Mitmenschen gerne aus meinem Leben. Über meine Kinder und über das was mich bewegt und antreibt. Aber in der Regel nur dann, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Geschichten auch interessieren und beim Gegenüber eine gewisse Resonanz vorhanden ist.
Einfach mal die Klappe halten!
Kennt ihr auch solche Situationen? Man trifft sich nach einem langen Tag im Büro mit einer guten Freundin und möchte einfach ein wenig quatschen. Entspannungs-Quatschen. Ihr vom stressigen Büro-Tag erzählen oder von den Schulproblemen der Kinder.
Kaum den ersten Satz vollendet, erfolgt die verbale Blutgrätsche.
Man wird unterbrochen, das Thema wird an sich gerissen. Schließlich geht es einem ja GANZ! GENAU! SO! – wenn nicht sogar ein wenig SCHLIMMER und sowieso einen Ticken interessanter.
Die Freundin redet und redet und redet. Selbst steht man nun im Abseits. Es bleibt einem nur passives Zuhören. Jedwede Versuche, sich ins Gespräch zu involvieren, werden vom Redefluss des Gegenübers weggespült. Irgendwann gibt man auf, resigniert und wendet sich lieber Hochprozentigem zu :).
Wie bei einer Nahtoderfahrung, betrachtet man die Szenerie von oben und denkt sich mal wieder: Das kann es doch nicht sein!
Gibt es niemanden mehr auf diesem Planeten der Zuhören kann?
Ich habe das Gefühl, dass vielen Menschen, das Gegenüber nicht wirklich interessiert. Das eigene Ego ist so gewaltig, dass kein Platz mehr für anderes bleibt.
Man selbst ist der Mittelpunkt der Erde, ist wahnsinnig interessant und möchte sein tolles Leben den anderen so schnell als möglich unter die Nase reiben.
Schwächen? Gibt es nicht. Bei mir ist alles hochglanzpoliert und läuft dufte!
Eine Check-Liste wird bereits zu Hause erstellt mit Punkten, die beim Gegenüber platziert werden möchten.
Von langer Hand geplantes Angeben, nenne ich das gerne. 🙂
Ganz beliebte Themen sind:
- Die tollen, tollen Kinder! So klug, so schön, so hochbegabt. Nein – keine Rotzlöffel, sondern natürlich nur wahnsinnig willensstark.
- Der tierisch anspruchsvolle Job, die Studiengänge und Promotionen – natürlich Summa cum laude. Gar werden einem Jahresgehälter munter und unaufgefordert vor den Latz geknallt.
- Die phantastischen Urlaube auf der GANZEN Welt und natürlich in den BESTEN Hotels.
- Die eigenen Erziehungsprinzipien, die natürlich das Non plus ultra sind! “Waaaas? Du lässt deinen Kids Filme sehen? Sind sie da schon kognitiv so weit?” ICH KANN ES NICHT MEHR HÖHREN!!!
Ich bin nicht selbstverliebt – ich höre mir nur einfach gerne selbst zu!
Aber nicht nur beim “auf dicke Hose machen”, sondern auch wenn es um Probleme geht, fällt Zuhören schwer und wird zur Utopie.
Überhaupt ist die gängige Meinung vieler, dass man nur SELBST Probleme hat. Probleme die natürlich bedeutender und absolut schwerwiegender sind, als die des Gegenübers.
An meine lieben Mitmenschen gerichtet: Wir ALLE haben mehr oder minder die SELBEN Probleme. Jeder geht nur anders damit um. Und nicht jeder muss seine Sorgen und Nöte im Sekundentakt und mit Megaphon-Stimme in die Welt hinausposaunen.
Eine Schwäche ist eine Stärke die vielen fehlt!
Selbstbeweihräucherung liegt mir fern. Aber ich glaube, dass ich durchaus in der Lage bin, zuzuhören.
Ich kann auch über Dinge erzählen, die nicht so gut laufen. Ich habe nicht das Bedürfnis mich zu profilieren und mein Äußeres zu polieren. Vielleicht weil ich von innen glänze? 🙂
Aber was ist nun konkret wichtig, wenn es um das richtige, um emphatisches Zuhören geht?
- Unterbrechen ist einfach nur uncool!
- Zuhören ohne zu urteilen! Also einfach unvoreingenommen zuhören und seine eigenen Gedanken und Werte kurz zur Seite schieben.
- Positives nonverbales Verhalten. Zeigt dem Gegenüber das ihr zuhört durch Gesten. Lächeln, Kopf nicken, Augenkontakt. Nicht die Arme verschränken oder gar Instagram Nachrichten checken.
- Stellt offene und vor allem ehrliche Fragen, wie “wie hast du dich dabei gefühlt?” “erzähl mir mehr darüber!”
- Vielleicht auch nochmal das Erzählte zusammenfassen, also in eigene Worten wiedergeben. Eine gute Voraussetzung um tiefer in ein Gespräch zu tauchen.
Fazit:
Keiner ist perfekt, wir alle können uns in bestimmten Dingen verbessern.
Eigenschaften wie Rücksicht, Mitgefühl und Zuhören sind so wichtig und sollten vor allem auch unseren Kinder vermittelt werden. Und das geht nun mal am besten, wenn man selbst ein Vorbild dafür ist :).
In diesem Sinne, alles Liebe
Irina:)